Adressbuchschwindel mit Trickformularen
Mehr als 20 Jahre alt ist der Adressbuchschwindel mit Trickformularen. Bis heute hält er sich, obwohl Gerichte dagegen deutliche Worte fanden.
Beim Adressbuchschwindel werden massenhaft „Angebote“ für Dateneinträge versandt, wobei diese Angebotsformulare eine bestehende Geschäftsbeziehung zum Adressaten vortäuschen. Verbunden sind die Formulare in der Regel mit einem Segeln unter falscher Flagge. Die Betroffenen sollen davon ausgehen, dass eine Korrektur bestehender Daten verlangt wird, weil diese auf den Formularen ganz oder teilweise voreingetragen sind. Und dass die Formulare einen offiziellen Hintergrund haben: von Behörden, IHK, Handwerkskammern, Telekom AG oder den Verlagen der "Gelben Seiten" stammen.
Keine werthaltige Gegenleistung
Die Formulare haben eines gemeinsam: in ihnen ist eine Falle versteckt, mit der ein Vertrag in einer Größenordnung von einigen Hundert bis zu mehreren tausend Euro untergeschoben werden soll. Nicht für die Eintragung in ein "Buch", wie durch die Wortwahl häufig suggeriert wird, sondern für die Einstellung von Daten in irgendwelche private (Online-)Branchenverzeichnisse. Eine werthaltige Gegenleistung erfolgt nicht, die Verzeichnisse sind unbekannt, werden nicht beworben, sind zudem in hohem Maße unvollständig und damit so interessant, wie ein Stadtplan, in dem nur 2% der Straßen verzeichnet sind. Das Landgericht Wuppertal (LG Wuppertal, Urteil vom 05.06.2014 - 9 S 40/14) sah die Aufnahme in derartige Verzeichnisse als quasi wertlos an.
Früher: der Trick mit einem (doch nicht kostenfreien) Grundeintrag
In den 90er Jahren begann der Schwindel. Gewerbetreibende und Freiberufler bekamen Post. Der Inhalt war ein Formular. Der Name und die Anschrift der Angeschriebenen waren darin bereits eingetragen. Man solle noch die Fax-Nummer ergänzen, hieß es, später, als sich E-Mails durchsetzten, auch den E-Mail-Account. Das Formular sah „offiziell“ aus. Auf Briefpapier, wie es damals die Telekom verwendete: schmutzig-grau, auch der Schrifttyp war ähnlich.
Später war das Papier heller, dafür der Briefkopf magentafarben; so wie es damals dem Corporate Design der Telekom entsprach. Der Inhalt war immer ähnlich: es ginge um den Eintrag in einem Online-Branchenverzeichnis. Verschiedene Eintragungsarten konnte man ankreuzen: einen Grundeintrag, bei dem nichts von Geld stand. Oder verschiedene hervorgehobene Einträge. Für die war ein Aufpreis genannt. Das Formular konnte man in einem Freiumschlag zurück schicken. Oder an eine kostenlose Fax-Nummer senden. Und tappte damit in eine Falle. Anfänglich auf der Rückseite, später im Kleingedruckten auch auf der Vorderseite der Formulare fand sich inmitten eines Wust von Text, leicht zu übersehen, ein knapper Satz. Auch der Grundeintrag würde Geld kosten.
Beispiel eines Trickformulars aus dem Jahr 2002:
Im Sommer 2004 lag ein solches Formular dem Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 08.07.2004 – I ZR 142/02) vor. Es sei wettbewerbswidrig und dürfe nicht mehr verwendet werden, entschieden die Karlsruher Richter. Im Leitsatz des Urteils las sich das so: "Der durch die irreführende Gestaltung eines Formulars - "Grundeintrag" ohne Preisangabe, "hervorgehobene Einträge" mit bestimmtem "Aufpreis" - geweckte, dem herkömmlichen Verständnis eines Gewerbetreibenden entsprechende Eindruck, der beworbene "Grundeintrag" in ein Firmenverzeichnis sei anders als "hervorgehobene Einträge" kostenfrei, wird nicht dadurch beseitigt, daß über einen alle "Einträge" betreffenden Sternchenhinweis im Fließtext die Aussage enthalten ist, auch der Grundeintrag kostet einen bestimmten Betrag.“
Trotz Urteil: der Schwindel ging weiter
Die Hinterleute des Branchenbuchschwindels reagierten auf ihre Weise. Sie gründeten immer neue Firmen. An die Hundert werden es in den letzten zwanzig Jahres gewesen sein, etliche finden Sie in unserer Gegnerliste. Und sie änderten die Aufmachung der Trickformulare. Von einem "Grundeintrag" war nicht mehr die Rede. Aber dass man Geld haben wollte. Das fand sich versteckt im Kleingedruckten, den AGB. Im Jahr 2011 musste der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 30.06.2011 – I ZR 157/10 – Branchenbuch Berg) wieder über ein Trickformular entscheiden. Es wurde von der Firma Neue Branchenbuch AG verwendet, die bis heute unter dem Namen Das Regionale – Telefonauskunft AG aktiv ist. Das Formular sei wettbewerbswidrig, stellte das Gericht fest. Der Leitsatz der Entscheidung:
„Ein formularmäßig aufgemachtes Angebotsschreiben für einen Eintrag in ein Branchenverzeichnis, das nach seiner Gestaltung und seinem Inhalt darauf angelegt ist, bei einem flüchtigen Leser den Eindruck hervorzurufen, mit der Unterzeichnung und Rücksendung des Schreibens werde lediglich eine Aktualisierung von Eintragungsdaten im Rahmen eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses vorgenommen, verstößt gegen das Verschleierungsverbot des § 4 Nr. 3 UWG sowie gegen das Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 UWG.“
Und auch im Jahr 2012 befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 26.07.2012 - VII ZR 262/11) wieder mit solchen Formularen. Der Leitsatz des Urteils lautete dann:
„Wird eine Leistung (hier: Grundeintrag in ein Branchenverzeichnis im Internet) in einer Vielzahl von Fällen unentgeltlich angeboten, so wird eine Entgeltklausel, die nach der drucktechnischen Gestaltung des Antragsformulars so unauffällig in das Gesamtbild eingefügt ist, dass sie von dem Vertragspartner des Klauselverwenders dort nicht vermutet wird, gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil.“
Wir fassten seinerzeit in unserem Blog den Inhalt des Urteils unter der Überschrift „Bundesgerichtshof verdirbt Branchenbuch-Gaunern die Urlaubslaune“ zusammen.
[Zum Blog-Beitrag vom 26.07.2012] [Zum Blog-Beitrag vom 25.08.2012]
Unbeeindruckt von Urteilen
Danach war kurze Zeit Ruhe. Bis die nächsten Firmen kamen und den Adressbuchschwindel fortsetzten. Die Urteile des Bundesgerichtshof gelten nicht für sie, war ihr Argument. Die seien gegen andere Firmen ergangen.
Auch 2015 imitierte man die echten Gelben Seiten
Eine andere Firma, aus Bonn, suggerierte eine amtliche Tätigkeit; wegen eines Steuervereinfachungsgesetz sollte ein Formular ausgefüllt werden, hieß es sinngemäß:
DER SPIEGEL: Schaden in zweistelliger Millionenhöhe
Hunderttausende Formulare verschickten zwei "Große" der Abzocker-Szene. Anfang der 10er Jahre die Gewerbeauskunft-Zentrale/GWE-Wirtschaftsinformations GmbH. Das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL mutmaßte unter der Überschrift "Abzocke mit Amtsanschein" einen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe, der bei Gewerbetreibenden angerichtet wurde. Mittlerweile ist sie nicht mehr existent. Und die GES Registrat, die sich mittlerweile Europe Reg Service nennt und es schließlich vorzog, aus Deutschland nach Malta zu ziehen. Zumindest auf dem Papier. Derzeit sind immer noch mehr als ein Dutzend Firmen mit dem Geschäftsmodell des Adressbuchschwindels mit Trickformularen aktiv. Man ist vorsichtiger geworden. Etliche der Firmen wurden ins Ausland verlegt. Strohleute werden vorgeschoben, um die Hinterleute zu schützen.
Verstecke für Kleingedrucktes
In den Jahren wurde die Preisangabe in den Formularen immer besser versteckt. Dorthin, wo sie niemand vermutet.
Trickformular aus dem Herbst 2017: Preisangabe nicht gefunden? Suchen sie mal rechts oben, beim Datum!
Noch unauffälliger ist die Preisangabe im Trickformular einer Firma, die sich aus den Niederlanden an deutsche Gewerbetreibende wendet. Auch wenn sie den Eindruck zu erwecken versucht; mit der EU hat sie nichts zu tun.
Wie lange haben Sie gebraucht, um den Hinweis auf die Kostenpflicht zu finden?
Kleiner Tip: da, wo die Schrift am schlechtesten zu lesen ist
Andere dieser Werbefirmen wenden sich an Ärzte. Die glauben, es mit einer offiziellen Datenübeerprüfung von Ärztekammer & Co. zu tun zu haben - und finden sich in einem privaten Internetverzeichnis wieder. Dann gibt es noch die Firmen, zu deren Zielgruppe Aussteller auf Messen gehören. Wenn sie das Formular erhalten, sollen sie davon ausgehen, es handele sich um ihre Eintragung in das offizielle Ausstellerverzeichnis. Später bekommen sie Rechnungen von Firmen, die angeblich in Mittel- oder Südamerika sitzen.
"Szenetypisch": Verlängerungsfalle im Kleingedruckten
Fällt man auf die Trickformulare herein, sieht man sich bald mit einer Vielzahl von Zahlungsaufforderungen und Mahnungen konfrontiert. Später melden sich Inkassobüros und Anwälte und verschärfen das Druckszenario. Wer die Rechnung zahlt, um seine Ruhe zu haben, wird sich enttäuscht sehen. Spätestens dann, wenn weitere Rechnungen kommen, erfahren die Betroffenen, dass versteckt im Kleingedruckten der Formulare zumeist von einer Vertragsdauer über mehrere Jahre die Rede ist. Und bekommt zu hören, dass mit der Zahlung der ersten Rechnung das Bestehen eines Vertrages und die Zahlungspflicht anerkannt worden sein soll.
(Bearbeitungsstand: 22.01.2018)
In der Abzockerszene hasst man die Öffentlichkeit, die er schafft: in einem Blog berichten wir regelmäßig über solche und andere Firmen, nennen Hintergründe und Interna.
[Neues aus der Welt der Abzocker und Werbeverlage]
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