2. Teil: Verbraucher können (häufig) Werkvertrag widerrufen – auch ohne das Wort „Widerruf“

14.03.2019 – Vor einigen Wochen berichteten wir über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der hatte entschieden, dass Verbrauchern beim Abschluss von Bauverträgen ein Widerrufsrecht zusteht. Auch wenn es sich nur um kleine Arbeiten handelt. Voraussetzung: Der Bauvertrag wurde außerhalb der Geschäftsräume der Baufirma abgeschlossen.

[Zum Bau-News-Beitrag vom 11.11.2018: Verbraucher können (häufig) Werkvertrag widerrufen – Keine Widerrufsbelehrung: kein Wertersatz]

Ein ähnlicher Fall lag dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.07.2018 – 10 U 143/17) vor. Die Besonderheit dort: Der Verbraucher hatte das Wort „Widerruf“ nie benutzt. Er hatte nur erklärt, keinen Vertrag geschlossen zu haben. Doch das reichte.


Ein mündlicher Vertrag auf einer Abendparty?

In Stuttgart traf man sich im Jahr 2014 an einem Oktoberwochenende bei einer Abendparty: ein Architekt und ein Verbraucher. Beide kamen ins Gespräch. Wohl recht intensiv. Danach meinte jedenfalls der Architekt, zwei Aufträge erhalten zu haben. Für ein Bauvorhaben in Deutschland und für die Errichtung einer Ferienanlage in Kroatien. Eine schriftliche Vereinbarung wurde nie geschlossen.


„Ich habe doch nie einen Vertrag geschlossen…“

Der Architekt legte los, ging auch zu Behörden in Deutschland und Kroatien. Irgendwann aber wollte der Verbraucher von ihm nichts mehr wissen. Er habe doch nie einen Vertrag mit ihm abgeschlossen, schrieb er ihm.

Nun beendete der Architekt seine Tätigkeit und schickte zwei Rechnungen. Über 45.200,00 € für die Tätigkeit in Deutschland und über 14.500,00 € für das Bauvorhaben in Kroatien.


Erste Instanz: doch…

Der Verbraucher zahlte nicht. So verklagte ihn der Architekt vor dem Landgericht Stuttgart. Die erste Instanz ging gut aus für ihn. Ein Zeuge hatte von der Abendveranstaltung berichtet und auch das Argument, ohne Aufträge hätte er doch nicht so viel Arbeit erbracht, überzeugte das Landgericht. Der Verbraucher wurde verurteilt.


Zweite Instanz: … aber widerrufen

Doch der gab nicht auf und legte Berufung ein. Zum Oberlandesgericht Stuttgart. Die sahen die Sache anders als ihre Kollegen in der Vorinstanz. Insbesondere nahmen sie sich ein Schreiben des Verbrauchers vor, in dem dieser dem Architekten erklärt hatte, doch überhaupt keinen Vertrag abgeschlossen zu haben. Das sei ein Widerruf, urteilten die Oberlandesrichter. Und einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag könne man als Verbraucher widerrufen. Aus dem Urteil:

“Nach dem Vorbringen des Klägers wurde er bei der Abendeinladung im Hause der Zeugin D. vom Beklagten mit der Erbringung von Planerleistungen beauftragt […] Damit liegt ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag im Sinne von § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB vor.

Rechtsfolge ist gemäß § 312g Abs. 1 BGB, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zusteht. Überdies hat der Unternehmer den Verbraucher gemäß § 312d Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB nach Maßgabe der Artt. 246a und 246b EGBGB zu informieren. Das Bestehen des Widerrufsrechts ist nicht vom Vorliegen einer Überrumpelungssituation oder sonstiger Voraussetzungen abhängig.

[…] Der Beklagte hat seine auf den Abschluss des behaupteten Vertrags gerichtete Willenserklärung widerrufen.

Gemäß § 355 Abs. 1 S. 1 u. S. 2 BGB sind die Vertragsparteien an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer fristgerecht widerrufen hat. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Eine Begründung ist nicht notwendig (§ 355 Abs. 1 S. 3 u. S. 4 BGB). Die Verwendung des Wortes "Widerruf" ist nicht erforderlich […] Es genügt eine eindeutige Äußerung des Verbrauchers, aus der erkennbar wird, dass er den Vertrag nicht mehr gegen sich gelten lassen will […]

Der Beklagte hat vorliegend nicht ausdrücklich einen Widerruf unter Verwendung des Wortes "Widerruf" erklärt. Er hat allerdings im Schreiben vom 5. August 2015 an den Kläger auf der zweiten Seite erklärt, dass kein Vertrag abgeschlossen worden sei. Damit hat der Beklagte eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er den behaupteten Vertrag nicht (mehr) gegen sich gelten lassen will. Ein Widerruf ist auch dann möglich, wenn der Verbraucher - wie hier - die Auffassung vertritt, es fehle bereits am Abschluss eines vom Unternehmer behaupteten Vertrags, und dies dem Unternehmer gegenüber ausdrücklich erklärt […] Es liefe der Intention des Gesetzgebers, einen effektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten, zuwider, wenn darin kein Widerruf im Sinne des § 355 BGB gesehen würde.“

Der Widerruf war auch fristgemäß. Denn der Architekt hatte den Verbraucher nicht über das Widerrufsrecht aufgeklärt. Noch einmal aus dem Urteil:

“Der Widerruf des Beklagten ist fristgerecht erklärt worden. Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 2 S. 1 BGB zwar lediglich 14 Tage. Die Frist beginnt aber gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB unterrichtet hat. Da vorliegend eine entsprechende Unterrichtung des Beklagten durch den Kläger nicht erfolgt ist, hat die 14 Tage-Frist nicht zu laufen begonnen. Allerdings erlischt das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss, § 356 Abs. 3 S. 2 BGB […] Ist hier - so der Vortrag der Klägers - ein Vertragsschluss Ende Oktober 2014 erfolgt, muss der Widerruf daher bis ungefähr Mitte November 2015 erklärt werden. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Beklagte bereits mit Schreiben vom 5. August 2015 gegenüber dem Kläger erklärt, dass kein Vertrag abgeschlossen worden sei. Da bereits darin ein Widerruf zu sehen ist, ist der Widerruf fristgerecht erklärt worden.“


Juristisches Neuland

Der Architekt geht leer aus. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen. Aus dem Urteil:

“Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 u. Nr. 2 ZPO. Die Frage, ob ein Widerruf gemäß § 355 BGB auch in der Erklärung eines Verbrauchers gesehen werden kann, er gehe davon aus, dass kein Vertrag zustande gekommen sei, ist soweit ersichtlich höchstrichterlich noch nicht entschieden.“


Dringender Handlungsbedarf für Baufirmen und andere

Was wir in unserem Bau-News-Beitrag Ende 2018 für Baufirmen und Handwerksbetriebe schrieben, ist weiterhin aktuell. Auch für Architektenbüros:

„Als Baufirma oder Handwerksbetrieb wird man jetzt die Gestaltung der eigenen Verträge und Formulare umgehend überprüfen müssen. Oder man lässt Verträge nur noch in den eigenen Geschäftsräumlichkeiten oder der Werkstatt schließen. Was im Alltag aber kaum durchzuhalten ist.“