Ein E-Bike gehört nicht auf den Gehweg …
10.08.2023 – ... Wenn es trotzdem dort gefahren wird und mit einem Bauschuttcontainer kollidiert, der in den Gehweg hineinragt, trifft den E-Bike Fahrer ein Mitverschulden. Und zwar ein deutliches.
Das entschied das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG Brandenburg, Urteil vom 09.05.2023 – 6 U 27/22).
Mit 8 km/h in den Container gefahren
In der brandenburgischen Lausitz war es schon dunkel, als Ende August 2017 ein Fahrradfahrer mit seinem E-Bike gegen 21:30 Uhr einen Gehweg befuhr. Dessen Untergrund war schlecht und deswegen die Fahrradlampe auf den Nahbereich eingestellt. Dann passierte es. Der Fahrradfahrer übersah, dass in den Gehwegbereich ein Bauschuttcontainer hineinragte. Eigentlich war der gut zu sehen. Er bestand aus Stahl, war orangefarben und wies an den Seiten rot-weiß-gestreifte Markierungen auf.
Ein (angeblich) gewaltiger Schaden
Doch obwohl der E-Bike Fahrer angab, nur 8 bis 10 km/h gefahren zu sein, übersah er den Container. Er stürzte. Der Schaden, den er erlitt, muss gewaltig gewesen sein. Jedenfalls dann, wenn man ihm Glauben schenken mag. Eine etwa 10 cm lange blutende Risswunde am linken Bein. Eine Schwellung am linken Fußgelenk, die sich bläulich verfärbte. Schürfwunden. Eine Prellung der rechten Schulter. Das Klinikum empfahl Schonung, lokale Kälte, bedarfsgerechte Schmerzmedikamentation und Ruhe.
Das war es noch nicht. Warum auch immer; der E-Bike Fahrer, der als Lackierer selbständig tätig war, gab an, rund 4 Monate anfänglich nicht und später nur noch für 2 bis 3 Stunden täglich arbeiten gehen zu können. Dafür wollte er 10.900 € haben. Als Umsatzausfall.
Doch damit ging es erst los. Sein Elektrofahrrad sei beschädigt worden, beklagte er. Was man noch nachvollziehen konnte. Auch ein T-Shirt der Luxusmarke Armani, außerdem Pullover der Marke Dsquared und eine Hose gleicher Marke. Und als sei es noch nicht genug: an dem Abend habe er auch noch eine Rolex getragen, die er für 8.100 € angeschafft hatte. Die sei seitdem verschwunden.
Viel Geld wollte der E-Bike-Fahrer aus dem Unfall machen
Mindestens 10.000,00 € Schmerzensgeld forderte er. Für Verdienstausfall, die verlorene Rolex und die anderen behaupteten Schäden weitere 29.000 €.
Weder die Baufirma, die für die Aufstellung des Containers verantwortlich war, noch die Eigentümer des Grundstücks, auf dem Bauarbeiten durchgeführt worden waren, zahlten. Wir vermuten auf Anweisung einer hinter ihnen stehenden Haftpflichtversicherung.
Unzufrieden mit Urteil der ersten Instanz
Der E-Bike Fahrer zog vor Gericht. In der ersten Instanz, am Landgericht Cottbus, ging es ziemlich schlecht aus für ihn. Zumal es sich abzeichnete, dass in der Nähe des Aufstellortes des Containers sich auch noch eine funktionierende Straßenlaterne befunden hatte. Und dann auch noch die Frage im Raum stand, warum ein selbständiger Lackierer auf dem Nachhauseweg mit Rolex und Luxuskleidung unterwegs war. Dass die Rolex nicht mehr gefunden wurde, war der angebliche Schaden. Aber auch die beschädigte Luxuskleidung konnte der E-Bike Fahrer nicht vorlegen. Er hatte sie entsorgt, sagte er.
In der ersten Instanz ging das Gericht davon aus, dass ihn ein Mitverschulden wegen Fahrens auf dem Gehweg trifft. In Höhe von 2/3. Und da er den Schaden bislang nicht richtig nachweisen konnte, gewann er gerade einmal 162,61 €. Wenn zum Verdienstausfall und Schmerzensgeld mehr vorträgt, könnte er noch 1/3 des ihm dann zustehenden Betrages verlangen. Abhängig davon, in welcher Höhe er diesen überhaupt belegen kann.
Der E-Bike Fahrer war mit dem Ergebnis ganz und gar nicht einverstanden. Er legte Berufung ein und forderte weitere 20.400 €. Außerdem mindestens weitere 10.000 € Schmerzensgeld.
Oberlandesgericht weist Berufung zurück
Vergeblich. Das Brandenburgische Oberlandesgericht wies die Berufung zurück. Aus dem Urteil:
“Der Kläger hat den Gehweg verkehrsordnungswidrig befahren […]
Besondere Umstände, die eine Ausnahme von dem mithin auch für Fahrradfahrer grundsätzlich geltenden Verbot der Gehwegbenutzung begründeten, sind im Streitfall nicht gegeben […]
Der Weg war ausweislich der vorgelegten Lichtbilder durch einen Bordstein und einen mit Bäumen und Laternen bestandenen Grünstreifen optisch und tatsächlich von der Fahrbahn abgegrenzt und wies auch seinem äußeren Erscheinungsbild nach keine Fahrfläche für Radfahrer auf. Der Umstand, dass die Fahrbahn der A…allee eine Kopfsteinpflasterung aufwies, vermag den Verstoß […] ebenso wenig zu rechtfertigen wie zu entschuldigen.
Entgegen der Auffassung der Berufung hat sich dieser Verkehrsverstoß in dem Unfallereignis auch ausgewirkt […]
Ein Radfahrer, der verkehrsordnungswidrig einen Gehweg befährt, muss sich darüber im Klaren sein, sich auf einem Verkehrsweg zu bewegen, der nicht auf sein Fahrzeug ausgerichtet ist, und mit dementsprechend reduzierter Geschwindigkeit und erhöhter Vorsicht fahren […]
Kommt es im Bereich eines Gehweges zur Kollision eines den Gehweg ordnungswidrig befahrenden Fahrradfahrers mit einem anderen Verkehrsteilnehmer oder einem Gegenstand, spricht daher der Beweis des ersten Anscheines dafür, dass der Radfahrer diesen besonderen Sorgfaltsanforderungen nicht Genüge getan und sich damit eine Gefahr realisiert hat, um derentwillen von dem Fahrradfahrer erwartet worden war, nicht den Gehweg, sondern die Fahrbahn zu benutzen. Auch bei der Kollision mit einer Person oder einem Gegenstand, die sich ihrerseits nicht zulässigerweise auf dem Gehweg befindet, begründet das ordnungswidrige Befahren des Gehwegs deshalb ein […] Mitverschulden […]
Der Kläger musste mit Hindernissen auf dem Gehweg rechnen und mit dementsprechend erhöhter Aufmerksamkeit und reduzierter Geschwindigkeit fahren. Dafür, dass er diesen Anforderungen nicht Rechnung getragen hat, spricht, dass es zur Kollision gekommen ist. Umstände, die diesen Schluss erschütterten oder widerlegten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere genügt hierfür nicht der Einwand des Klägers, rechtmäßige Nutzer des Weges, etwa Jogger oder radfahrende Kinder, die sich mit gleicher Geschwindigkeit wie er fortbewegt hätten, hätten ebenfalls mit dem Container zusammenstoßen können. Denn die abstrakte Möglichkeit einer Kollision anderer Verkehrsteilnehmer mit dem Container genügt nicht, den […] Schluss darauf, dass sich in dem Unfall (auch) eine typische Gefahr der verkehrsordnungswidrigen Nutzung des Gehwegs verwirklicht hat, infrage zu stellen. Dass der Unfall bzw. die vom Kläger hierbei seinem Vorbringen nach erlittenen Verletzungen und Schäden auch bei obligationsgemäßem Alternativverhalten eingetreten wären, trägt der Kläger hingegen nicht vor und ist auch nicht ersichtlich.
Des Weiteren fällt den Kläger ein Mitverschulden […] wegen eines Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot zur Last.
Das Sichtfahrgebot […], das auch für Fahrradfahrer gilt […], verlangt, dass der Fahrer vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet, anhalten kann. Er darf demnach grundsätzlich nur so schnell fahren, dass der Anhalteweg im Sichtbereich, d. h. in dem Bereich, in dem nach den konkreten Umständen Hindernisse für den jeweiligen Fahrer erkennbar werden, nach der jeweils gegebenen besonderen Sachlage (Witterungsverhältnisse, technische Einrichtung des Fahrzeugs, persönliche Fähigkeit des Fahrers) garantiert bleibt. In Ansehung dieser Faktoren ist die zulässige Geschwindigkeit nicht allein durch die Reichweite des (Abblend-) Lichtes festgelegt, vielmehr ist sie dem erleuchteten Sichtfeld anzupassen […] Kommt es dadurch zu einem Unfall, dass ein Fahrzeug bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes Hindernis auffährt, spricht daher der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhaft ordnungswidrige Fahrweise, nämlich dafür, dass der Fahrzeugführer entweder seine Fahrgeschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen angepasst hatte oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hatte fehlen lassen […]
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zu Recht […] angenommen, dass der Kläger entweder seine Geschwindigkeit nicht an die Sichtverhältnisse angepasst hat oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen. Der […] Einwand, der Kläger habe den Container nicht rechtzeitig erkennen können, da dieser erst in gewisser Höhe über dem Boden in den Weg hineingeragt, der Kläger seine Fahrradlampe aber auf die Ausleuchtung des Bodenbereichs eingestellt gehabt habe, greift nicht durch. Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, auf dem Weg allenfalls auf Hindernisse zu treffen, die im Wesentlichen senkrecht vom Boden ausgehen, sondern musste die Möglichkeit solcher Hindernisse in Betracht ziehen, die – wie beispielsweise Absperrschranken […] oder abgestellte Kraftfahrzeuge mit geöffneten Seitentüren – erst über dem Boden in dem für seine Fahrt benötigten Raum hineinragen. Auch stellt ein Container der hier in Rede stehenden Art keinen Gegenstand dar, mit dem unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt auf dem Gehweg zu rechnen war.
Dem Landgericht ist auch darin beizutreten, dass bei Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Parteien das Mitverschulden des Klägers mit zwei Dritteln zu bewerten ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass beklagtenseits nicht davon ausgegangen werden konnte, die behauptete Markierung des Containers mit einer Warnweste genüge, die Aufmerksamkeit der Nutzer des Weges wirksam auf das Hindernis zu lenken. Auch war angesichts der Kopfsteinpflasterung der Fahrbahn der A…allee in erhöhtem Maße mit Fahrradfahrern auf dem Gehweg zu rechnen.
Demgegenüber ist in Rechnung zu stellen, dass der Container aufgrund seiner Größe und Farbe gewissermaßen vor sich selbst warnte. Ausgehend von den zur Akte gereichten Lichtbildern ist der Senat davon überzeugt, dass durchschnittlich aufmerksame Nutzer des Gehweges diesen rechtzeitig als Hindernis erkennen und sich hierauf einstellen konnten. Dass es dennoch zu dem streitgegenständlichen Unfallereignis gekommen ist, lässt nach dem Vorstehenden keine andere Erklärung zu, als dass es der Kläger in mehrfacher Hinsicht an der Sorgfalt hat fehlen lassen, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufgewandt hätte.“
Kein ausreichendes Klagevorbringen zum Schadensumfang
Deutliche Worte fand man auch zu der Behauptung, dass der E-Bike Fahrer am Unfalltag Luxus-Kleidung im Wert von insgesamt 540 € sowie eine Armbanduhr im Wert von 8.100 € getragen haben will. Noch einmal aus dem Urteil:
“Im Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers fehlt es aus Sicht des Senats bereits an einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger am Unfalltag Hose, Pullover und T-Shirt im Wert von insgesamt 540 € sowie eine Armbanduhr im Wert von 8.100 € getragen hat.
Nach den Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung […] war der Unfalltag für ihn ein ganz normaler Arbeitstag, an welchem er nach seiner Arbeit in der Autolackiererei den Zeugen Z… besuchen und anschließend einen Supermarkt aufsuchen wollte. Ein besonderer Anlass, der das Tragen dieser Kleidungsstücke in dem nicht ganz alltäglichen Wert von insgesamt 540 € und der vergleichsweise hochwertigen Uhr ohne weiteres nachvollziehbar erscheinen ließe, ist nach den Angaben des Klägers hingegen nicht ersichtlich. Auch war nicht festzustellen, dass es seinen üblichen Gepflogenheiten entspricht, in seiner Freizeit regelmäßig vergleichbare Kleidungsstücke und Accessoires zu tragen.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Kläger die Schäden an der Kleidung in der Befragung durch den Senat nur sehr detailarm schilderte. Seine Angaben beschränken sich zunächst auf die Mitteilung, dass die Hose zerrissen und das T-Shirt beschädigt worden seien. Erst auf weitere Nachfragen gab er an, dass er auch einen Pullover getragen habe, der beschädigt, nämlich am rechten Ellenbogen aufgeschürft worden sei, und dass bei dem T-Shirt die hintere Naht aufgerissen gewesen sei.
Mit dem Landgericht ist es des Weiteren als ungewöhnlich zu erachten, dass der Kläger die Kleidungsstücke nicht als Beweismittel aufbewahrt oder zumindest die Schäden fotografisch festgehalten hat, sondern die Sachen nach dem Unfallereignis – wie er in seiner persönlichen Anhörung durch den Senat angab – zu seiner Arbeit als Lackierer angezogen habe. Die vom Kläger hierfür gegebene Erklärung, nach der Bezifferung des Schadens gegenüber der Beklagtenseite bzw. der Versicherung eine Sicherung der Beweise nicht für wichtig angesehen zu haben, erscheint wenig plausibel. Dies gilt zumal im Hinblick darauf, dass der Kläger Inhaber einer Autolackiererei und damit geschäftlich nicht unerfahren ist.
Die Angaben des Klägers sind daher nicht ausreichend, das Klagevorbringen hinsichtlich der beschädigten Kleidungsstücke und der verlorenen Uhr für wahr zu erachten […]“
Dumm gelaufen, kann man da nur sagen.