Fallgrube hinter Notausgang – das kann teuer werden
06.08.2019 - Bereits früher berichteten wir, dass derjenige, der eine (Bau-)Grube gräbt, damit (finanziell) reinfallen kann.
Ein Urteil des Oberlandesgericht Celle (OLG Celle, Urteil vom 13.06.2019 - 8 U 15/19) zeigt das erneut.
Ein Notausgang der ins Loch führt
Im Niedersächsischen musste sich eine Kommune an den Spruch erinnert fühlen. Sie war Eigentümerin und Betreiberin einer Turnhalle. Ab Mitte März 2018 ließ sie im Bereich dieser Halle Bauarbeiten ausführen. Unter anderem wurde das Erdreich unmittelbar hinter dem Notausgang der Sporthalle abgetragen. Später schwankte die Beschreibung der Tiefe zwischen „1 Meter“ und „erheblich“. Einen Hinweis darauf gab es in der Halle nicht. Insbesondere nicht an der Tür.
Ein Schritt nach vorn war schon zuviel
Es kam, wie es kommen musste. Im Mai 2018 fand in der Halle eine Tanzveranstaltung statt. Auch eine Bewohnerin des Ortes ging hin. Als eine Kindersportgruppe mit ihrer Darbietung fertig war, war die Luft stickig. Die Bewohnerin dachte, etwas Gutes zu tun, wenn sie frische Luft hereinlässt und ging zur Tür des Notausgangs. Das man diese nur im Notfall - oder überhaupt nicht - öffnen darf, stand nirgendwo. Die Tür war sehr breit. Um sie vollständig zu öffnen, musste die Frau einen Schritt nach vorne machen. Und fiel in die Tiefe. Die Verletzungen waren böse: eine distale Radiusfraktur rechts sowie Zerrungen und Ergüsse im Sprunggelenk rechts. Sie kam selber nicht mehr aus der Baugrube heraus. Andere, die ihr Weinen hörten, halfen ihr.
Kommune: wir haften für nichts
Zeit ging ins Land und ihr Zustand besserte sich. Doch für die Frau stellte sich die Frage, wer dafür haftet. Sie wandte sich an die Kommune als Eigentümerin der Sporthalle. Die lehnte jegliche Verantwortung ab. So kam es zum Prozess.
In der ersten Instanz, vor dem Landgericht Hannover, lief es durchaus gut für die Kommune. Die hatte argumentiert, dass die Frau den Notausgang nicht hätte benutzen dürfen. Das sei doch klar, weil das Wort Notausgang darüber stand.
Und außerdem käme sie doch aus dem Ort. Da müsste man es doch wissen, wenn Steuergelder gerade verbaut werden. Das Landgericht war von dieser Argumentation beeindruckt und wies die Klage ab.
Oberlandesgericht: strenger Maßstab am Notausgang
Doch die Frau gab nicht auf und legte Berufung ein, zum Oberlandesgericht Celle. Dort sah man die Sache gänzlich anders als in der ersten Instanz. Die Kommune hätte trotz der Bauarbeiten keine ausreichenden Sicherungsmaßnahmen ergriffen, stellte das Gericht fest. Aus dem Urteil:
“Der Bereich eines Notausganges muss so beschaffen sein, dass die sich in einem Gebäude aufhaltenden Personen dieses bei Auftreten eines Notfalles ungefährdet verlassen können. Dabei kommt ein strenger Maßstab zum Tragen. Denn gerade bei einem Notfall verlassen Besucher eines Gebäudes dieses fluchtartig und können deshalb Einzelheiten der Örtlichkeit in der Regel nicht sorgfältig in den Blick nehmen. Deshalb müssen der Notausgang und der Bereich außerhalb der Notausgangstür so beschaffen sein, dass Menschen auch in einer Ausnahmesituation das Gebäude sicher verlassen können […]
Diesen Anforderungen entsprach der Notausgang im Außenbereich zu dem von der Klägerin behaupteten Unfallzeitpunkt unstreitig nicht. Ebenso wenig warnte die Beklagte vor den mit der Nutzung des Notausganges verbundenen Gefahren. Ob allein das überhaupt zulässig gewesen wäre oder ob die Beklagte weitergehende Sicherungsmaßnahmen hätte ergreifen müssen, kann dahingestellt bleiben.“
Da würde auch die Frage keine Rolle spielen, ob man einen Notausgang nur im Notfall benutzen darf:
“Zwar ist die Nutzung eines Notausganges unter Umständen nur bei Notfällen gestattet. Bereits die Klägerin hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass das keineswegs zwingend ist […] Doch selbst wenn die Beklagte die Benutzung des Notausganges außer in Notfällen untersagt hätte (was die Beklagte im Übrigen gar nicht vorgetragen hat), würde die Klägerin zum geschützten Personenkreis zählen.“
Kein Mitverschulden weil man Bauarbeiten im Ort nicht kennt
Die verletzte Frau würde auch kein Mitverschulden treffen. Warum sollte sie den aktuellen Bautenstand kennen? Noch einmal aus der Entscheidung:
“Die Beklagte hat keinen Beweis für ihre Behauptung angeboten, der Klägerin sei der Erdaushub im Bereich des Notausganges bekannt gewesen. Auch musste die Klägerin nicht bereits deshalb mit dem Vorhandensein einer solchen Gefahr rechnen, weil sie die Durchführung von Bauarbeiten im generellen Bereich der Sporthalle zur Kenntnis hätte nehmen können oder müssen. Hieraus ergaben sich für die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte, dass sich die Bauarbeiten auch bis zum Bereich des Notausganges erstreckten. Im Gegenteil darf auch bei in der Nähe durchgeführten Bauarbeiten jeder Besucher eines Gebäudes damit rechnen, dass ein aufgrund seiner Bedeutung grundsätzlich immer freizuhaltender Notausgang in Ermangelung eines Warnhinweises oder einer Sperrung des Ausganges von den Bauarbeiten nicht betroffen ist.“
Und schließlich habe die Frau auch keine eigene Sorgfaltspflicht verletzt, weil sie einen weiteren Schritt nach Öffnen der Tür vorgenommen hatte:
„“Auch eine allgemeine Verletzung der Sorgfaltspflicht in Gestalt eines weiteren Schrittes nach Öffnen der Tür kann der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Im Gegenteil entspricht es allgemeiner Handhabung, mit dem Öffnen einer sich in Gehrichtung öffnenden Tür auch zugleich die Türschwelle zu überschreiten. Unüblich ist es hingegen, eine sich in Gehrichtung öffnende Tür zu öffnen, dann aber nicht unmittelbar im Anschluss die Schwelle zu überschreiten, sondern zunächst einmal den hinter der Schwelle befindlichen Bereich in Augenschein zu nehmen. Ganz besonders gilt das für Notausgänge, denn diese müssen bereits aufgrund ihrer Funktion sowohl vor als auch hinter der Tür ebenerdig sein. Dementsprechend muss niemand mit einem unfallträchtigen Niveauunterschied hinter einem Notausgang rechnen.“
Das Urteil ist rechtskräftig.
Probleme mit den Verkehrssicherungspflichten auf Baustellen sind immer wieder ein Thema in unserem Bau-News-Blog:
[Zum Bau-News-Beitrag vom 19.05.2012: Bauherr stürzt vom Gerüst – nicht immer haftet die Baufirma]
[Zum Bau-News-Beitrag vom 25.01.2017: Kein Schadensersatz wenn Baustelle aufgeräumt ist]