Keine Widerrufsbelehrung: auf Baustelle vereinbarten Nachtrag kann Verbraucher lange widerrufen

02.08.2023 – In den letzten Jahren haben wir immer wieder darüber berichtet, dass Verbrauchern auch bei Bau- und Handwerksverträgen unter Umständen ein Widerrufsrecht zusteht. Werden sie nicht darüber aufgeklärt, haben sie eine Widerrufsfrist von 12 Monaten und 2 Wochen. Wenn in der Zeit der Handwerksbetrieb seine Leistung erbracht hatte, dann aber der Vertrag widerrufen wird, wurde zum Nulltarif gearbeitet.

Noch schlechter erging es einem Handwerksbetrieb aus Mannheim. Er bekommt nicht nur nichts für seine Arbeit, sondern muss auch noch 1.910,00 € zurückzahlen, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2023 – 8 U 17/23).


Ein tricky Verbraucher als Bauherr

In Mannheim ließ ein Verbraucher bauen. Während der Bauphase vergab er verschiedene Nachträge. Zuvor gab es persönliche Gespräche und auch ein schriftliches Angebot der Baufirma. Auf der Baustelle wurde man sich jeweils einig.

Die Baufirma erbrachte ihre Leistung, der Verbraucher nahm sie ab. Die Baufirma legte dafür Rechnungen. Am 06.04.2021 über 719,95 € und am 19.05.2021 über 1.190,00 €. Den Gesamtbetrag von 1.909,95 € zahlte der Verbraucher.

Eine weitere Rechnung der Baufirma über 6.466,46 € zahlte der Verbraucher dann nicht mehr. Stattdessen widerrief er die Verträge über drei Nachträge. Der Fehler der Baufirma: sie hatte ihn nicht über sein Widerrufsrecht aufgeklärt, so dass dieses nicht 14 Tage, sondern 1 Jahr und 2 Wochen betrug.

Der Verbraucher forderte die bereits gezahlten 1.909,95 € zurück. Für die erbrachten Nachträge der Baufirma wolle er nichts zahlen.


Die Sache kam vor Gericht

In der ersten Instanz, vor dem Landgericht Mannheim lief es gut für den Verbraucher. Die Baufirma wurde zu einer Zahlung von 1.909,95 € nebst Zinsen verurteilt. Und auch mit ihrem Versuch einer Widerklage, um an die 6.466,46 € aus der dritten Rechnung zu gelangen, scheiterte sie.

Die Baufirma gab nicht auf und legte Berufung ein, zum Oberlandesgericht Karlsruhe. Vergeblich. Mit Beschluss vom 13.03.2023 teilte das Oberlandesgericht mit, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. Aus dem Beschluss:

“Bei allen drei genannten Bauverträgen handelt es sich um außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gemäß § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die über 719,95 € und über 1.190 € abgerechneten Verträge wurden nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts mündlich auf der Baustelle geschlossen. Der (seitens des Klägers bestrittene) Vertragsschluss über die mit 6.466,46 € abgerechneten Leistungen ist nach dem Sachvortrag des Beklagten (Schriftsatz vom 01.04.2022, S. 2; I 65), den sich der Kläger hilfsweise zu eigen gemacht hat, ebenfalls mündlich auf der Baustelle erfolgt.“

Dass den widerrufenen Verträgen persönliche Gespräche zwischen den Parteien vorausgingen und im Falle der mit Rechnung vom 01.10.2021 abgerechneten Leistungen nach dem Vortrag des Beklagten sogar ein schriftliches Angebot vorlag, so dass der Kläger weder „unter psychischen Druck geraten konnte“ noch „einem Überraschungsmoment unterlag“, steht der Anwendbarkeit des § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht entgegen […] Entscheidend ist nicht, dass der Verbraucher im konkreten Fall überrumpelt worden war oder nicht in der Lage war, eine hinreichend fundierte Entscheidung zu treffen; das Widerrufsrecht stellt vielmehr ein Schutzinstrument dar, das auf eine typisierte Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers abstellt. Maßgeblich ist allein die Vertragsverhandlung oder der Vertragsschluss außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers […]

Die Ausübung des Widerrufsrechts ist auch nicht treuwidrig (§ 242 BGB). Ob die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind […]. Dass der von dem Beklagten nicht über das Widerrufsrecht belehrte Kläger Teilabnahmen erklärt und die Rechnungen vom 06.04.2021 über 719,95 € und vom 19.05.2021 über 1.190 € bezahlt hat, lässt die Ausübung des Widerrufsrechts nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen. Dass die Rückgewähr der von dem Beklagten erbrachten Leistungen nicht möglich ist und der Kläger gleichwohl […] keinen Wertersatz schuldet, beruht auf einer bewussten Entscheidung des (europäischen) Gesetzgebers. Die bloße Ausnutzung der bestehenden Rechtslage zum eigenen Vorteil stellt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar.“


Berufung zurückgewiesen

Schließlich wurde am 14.04.2023 per Beschluss die Berufung zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht präzisierte dabei noch einmal die einen Monat zuvor erteilten Hinweise:

“Nach dem Gesetzeswortlaut des § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt es für das Widerrufsrecht nur darauf an, dass der Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen erfolgt ist. Auf eine konkrete Überraschung oder Überrumpelung kommt es nicht an. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Überrumpelungssituation im konkreten Fall kausal zum Vertragsschluss durch den Verbraucher geführt hat.

Die Gesetzesbegründung […] und der Erwägungsgrund 21 der Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU gebieten keine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts. Sie machen im Gegenteil deutlich, dass dem Verbraucher ein Widerrufsrecht bereits deshalb eingeräumt wird, weil er außerhalb von Geschäftsräumen „möglicherweise“ psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist. Nach diesem typisierten Maßstab kommt es auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers im Einzelfall nicht an.

Der Unternehmer kann den für ihn nachteiligen Folgen des Widerrufs dadurch begegnen, dass er den Verbraucher über das Widerrufsrecht belehrt und ein ausdrückliches Leistungsverlangen des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist sich von diesem schriftlich oder in Gegenwart von Zeugen bestätigen lässt.“


Handwerker und Baufirmen müssen Verträge überprüfen

Wir können es nicht oft genug schreiben. Handwerker und Baufirmen müssen ihre Verträge überprüfen. Und zwar dringend! Es sei denn, sie schließen diese nur noch in der eigenen Geschäftsräumlichkeit oder der Werkstatt ab.

Ohne eine rechtlich einwandfreie Widerrufsbelehrung läuft man Gefahr, sonst am Schluss leer auszugehen.




Siehe auch:

[Zum Bau-News-Beitrag vom 11.11.2018: Verbraucher können (häufig) Werkvertrag widerrufen – Keine Widerrufsbelehrung: kein Wertersatz]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 14.03.2019: 2. Teil: Verbraucher können (häufig) Werkvertrag widerrufen – auch ohne das Wort „Widerruf“]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 18.08.2020 - Verbraucher können (manchmal) Architektenvertrag widerrufen]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 05.02.2021: Kein Widerrufsrecht bei individuell hergestellten Kurventreppenliften]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 29.04.2021 - Falle für Handwerker: Nicht über Widerrufsrecht belehrt - umsonst gearbeitet]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 07.07.2023 - Falle für Handwerker: Kunde nicht über Widerrufsrecht aufgeklärt – kein Wertersatz, zum Nulltarif gearbeitet]