Oberlandesgericht Frankfurt am Main: wer „Frankfurt“ vereinbart, meint nicht Frankfurt an der Oder
09.10.2023 – Eine Stadt namens Frankfurt gibt es zweimal in Deutschland. Am Main gelegen, mit Bankentürmen, einem Großflughafen und einer großen Universität. Und an der Oder, mit Grenzübergängen nach Polen und einer mittelgroßen Universität.
Beide Städte haben ein Landgericht.
Doch was ist dann, wenn es in einem Vertrag heißt, dass „Frankfurt“ als Gerichtsstand vereinbart worden sei. Gehen die Akten dann an den Main oder an die Oder?
An den Main, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt, Urteil vom 06.07.2023 – 11 UH 23/23). Die Begründung dafür liest sich – naja – lokalpatriotisch bis eigenwillig.
Nur „Frankfurt“ geschrieben – Flussname vergessen
Es ging um ein Bauvorhaben. Ein Generalunternehmer aus dem niedersächsischen Osnabrück hatte mit einer Firma aus dem nordrhein-westfälischen Solingen einen Bauvertrag geschlossen. Der Generalunternehmer wiederum war von einer Bauherrin aus Frankfurt am Main beauftragt worden.
Die Vertragsformulierungen des niedersächsischen Generalunternehmers nannten „Frankfurt“ – also ohne Zusatz – als Gerichtsstand. Gebaut werden sollte in Brandenburg, aber nicht im Bezirk des brandenburgischen Landgerichts Frankfurt/Oder, sondern des ebenfalls in Brandenburg gelegenen Landgerichts Cottbus. Zwischen Frankfurt/Oder und Cottbus liegen rund 90 Kilometer.
Später gerieten Generalunternehmer und Baufirma in Streit. Die Baufirma verklagte den Generalunternehmer vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Dort hielt man sich jedoch nicht für zuständig. Um die Sache voranzubringen, einigten sich die Streitenden auf die Zuständigkeit des Landgerichts Osnabrück. Aber auch dort hielt man sich nicht für zuständig. Die Osnabrücker Begründung: das Landgericht Frankfurt am Main habe seine eigene Zuständigkeit willkürlich verneint. Also ging die Akte von Osnabrück wieder zurück nach Frankfurt am Main.
Das Landgericht Frankfurt am Main legte daraufhin entsprechend den Regeln der Zivilprozessordnung die Angelegenheit dem Oberlandesgericht Frankfurt vor. Das sollte bestimmen, wer für den Prozess zuständig ist.
Das unvergleichbare Frankfurt am Main
Zuständig sei das Landgericht Frankfurt am Main, entschied das Oberlandesgericht. Frankfurt am Main sei doch bekannter und bedeutender als Frankfurt an der Oder. Aus dem Beschluss:
“Das Landgericht Osnabrück ist nicht durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main zuständig geworden, da der Verweisungsbeschluss ausnahmsweise hier nicht bindend ist.
Verweisungsbeschlüsse sind im Interesse der Prozessökonomie sowie zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und Verteuerungen in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zwar grundsätzlich unanfechtbar und nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung […] Einem Verweisungsbeschluss kann daher die gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss […] Hierfür genügt es jedoch nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist […]
Ausgehend hiervon, ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main nicht mehr bindend […] Die zwischen den Parteien […] getroffene Gerichtsstandsvereinbarung ist unter - im Bestimmungsverfahren maßgeblicher - Zugrundelegung der von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen wirksam und führt hier zweifelsfrei zur Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main. Sie bezieht sich auf ein bestimmtes bzw. durch Auslegung bestimmbares Gericht […] Dass die Klägerin dieses Verständnis hatte, folgt bereits daraus, dass sie unter Bezug auf diese Klausel vor dem Landgericht Frankfurt am Main Klage erhoben hat. Soweit die Beklagte nach dem Hinweis des Landgerichts die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung bestritten hat, bleibt der Anknüpfungspunkt offen. Auch die Beklagte führt jedenfalls nicht aus, dass im Fall der Wirksamkeit Frankfurt an der Oder gemeint gewesen sei. Im Übrigen müsste die Beklagte eine etwaige Unklarheit der von ihr verwendeten AGBs gegen sich gelten lassen. Für diese eindeutige Auslegung, wonach Frankfurt am Main gemeint ist, spricht auch, dass die Beklagte unstreitig den Auftrag ihrer Auftraggeberin übernommen hat, die ihrerseits in Frankfurt am Main ansässig war. Frankfurt am Main ist für die betroffenen Parteien zudem örtlich unzweifelhaft besser zu erreichen, als das an der Grenze zu Polen befindliche Frankfurt an der Oder, welches für beide Parteien mit erheblichen Anfahrtswegen verbunden wäre. Da der Rechtsstreit keinerlei Bezug zum Bezirk des Landgerichts Frankfurt an der Oder aufweist, hätte es jedenfalls für die Annahme, die Klausel beziehe sich auf das von seiner Bekanntheit und Bedeutung her mit dem Landgericht Frankfurt am Main nicht vergleichbare Landgericht Frankfurt an der Oder näherer Anknüpfungspunkte bedurft. Diese sind nicht ersichtlich und vom Landgericht auch nicht aufgeführt worden. Die allgemeinen Gerichtsstände der Parteien befinden sich im Bezirk des Landgerichts Solingen bzw. Osnabrück. Der Erfüllungsort liegt im Bezirk des Landgerichts Cottbus. Ausgehend hiervon hätte es jedenfalls weitergehender Ausführungen des Landgerichts bedurft, aus welchen Gründen dennoch die Gerichtsstandsvereinbarung nicht zur Begründung der eigenen Zuständigkeit geeignet sein soll. Daran fehlt es.“
Es handelt sich um eine absolute Einzelfallentscheidung. Aber mit einer Begründung, bei der man bei soviel Lokalpatriotismus schluckt.