Scheinselbständige Bauarbeiter: hohe Beitragsnachforderung
27.04.2023 – Wenn eine Baufirma „Schwarzarbeit“ durch scheinselbständige Bauarbeiter erbringen lässt, kann das teuer werden. 103.000 € hat eine Baufirma in Hessen jetzt für die Beschäftigung von drei scheinselbständigen Bauarbeitern nachzuzahlen. Das entschied das hessische Landessozialgericht (LSG Darmstadt, Urteil vom 26.01.2023 – L 8 BA 51/20).
Was aber noch nicht alles ist: daneben hatte das Bauunternehmen noch Aufwendungen um ein Strafverfahren abzuwehren.
In Hessen betrieb Anfang der 2010er Jahre ein Bauunternehmer ein Einzelunternehmen für Trockenbau und Brandschutz. Eine einzige sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hatte er. Seine Ehefrau. Die Zahl seiner Auftraggeber war auch nicht viel größer. Doch für die Durchführung der Bauarbeiten wusste er sich zu helfen.
Da gab es eine aus drei Ungarn bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die war in die Handwerksrolle eingetragen und verfügte über eine Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen. Auch einen Bürositz hatte sie. Wenngleich der nicht viel mehr als eine Deckadresse bei einem Büro-Serviceunternehmen war.
Mit dieser Gesellschaft schloss unser Bauunternehmer im August 2013 einen Nachunternehmervertrag; sie sollte auf einer Baustelle tätig werden. Als Subunternehmerin. Die Bezahlung sollte so aussehen, dass Säulen mit Brandschutzplatten verkleidet werden sollten. Pro verkleideter Säule war ein Festbetrag von zehn beziehungsweise elf Euro € vereinbart.
Aufgeflogen bei Baustellenkontrolle
Warum auch immer: es fand eine Baustellenkontrolle durch das Hauptzollamt und die Deutsche Rentenversicherung statt. Die traf die drei Ungarn an und erfuhr von ihnen seltsames über deren Baufirma. Sie waren eingegliedert in das Trockenbauunternehmen. Dessen Inhaber fuhr die drei regelmäßig in seinem Bus zu den Baustellen. Er stellte das Material und Werkzeug. Auf der Baustelle kontrollierte er die Arbeit. Ein Unternehmerrisiko hatten sie nicht zu tragen. Lediglich ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.
Hauptzollamt und Rentenversicherung wurden stutzig: das sei keine selbständige Tätigkeit, sondern eine Scheinselbständigkeit. Und dafür habe der Bauunternehmer Sozialabgaben zu entrichten. Man rechnete nach und als Ergebnis wurden Ende 2016 ihm 103.000 € berechnet. Der Bauunternehmer war entsetzt und legte Widerspruch ein. Vergeblich. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob er Klage beim Sozialgericht Kassel. Auch hier vergeblich. Doch er gab nicht auf und legte Berufung ein, zum Hessischen Landessozialgericht. Dort lief es nicht besser für ihn. Aus dem Urteil:
“Das Sozialgericht ist […] zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, das die Beigeladenen zu 1) bis 3) in dem der Beitragsfestsetzung zu Grunde liegenden Zeitraum in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Kläger standen.
Der vorliegende Nachunternehmervertrag zwischen der „Firma A. Trockenbau“ und der „D. Trockenbau GbR“ ist für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen nur von geringer Aussagekraft. Denn nach den von den Beteiligten insoweit übereinstimmenden Darlegungen der tatsächlichen Umstände der Tätigkeit der Beigeladenen wurde der Vertrag in der Praxis in keinem seiner wesentlichen Punkte umgesetzt. So sollte Vertragsgegenstand „die selbständige Ausführung von jeweils separat spezifiziert vereinbarten Arbeiten“ sein (§ 1 des Vertrages), für die die Vergütung gemäß den für die jeweilige Baustelle zu erbringenden Leistungen in einem separaten Auftragsschreiben festgelegt und Abschlags- und Schlussrechnungen auf dieser Grundlage erstellt werden sollten. Maßgebend für die Art und den Umfang der auszuführenden Leistungen und Lieferungen sollten unter anderem das Auftragsschreiben, das Angebot des Generalunternehmers die jeweilige Baustelle betreffend einschließlich der vereinbarten Änderungen und Ergänzungen aufgrund der Verhandlungen, die in dem jeweiligen Protokoll festzuhalten seien, das Leistungsverzeichnis, Leistungsbeschreibung, der Bauzeitenplan sowie die einschlägigen neuesten DIN-Vorschriften, VDE- und VDI-Richtlinien sein. Der Nachunternehmer sollte jeweils bestätigen, sämtliche Ausschreibungsunterlagen erhalten zu haben, insbesondere die Leistungsbeschreibung und die Vormerkungen zum Leistungsverzeichnis, und auf dieser Grundlage die von ihm geforderte Leistung nach Ausführung, Art und Umfang vollständig kalkulieren (§ 2 des Vertrages). Die sich ergebende Vergütung sollte alles enthalten, was zur ordnungsgemäßen vollständigen und termingerechten Ausführung der Leistung notwendig sei; spätere Materialpreiserhöhungen oder sonstige Kostensteigerungen sollten nicht automatisch zu einer Änderung der vereinbarten Vergütung führen (§ 3 des Vertrages). Der genaue Arbeitsablauf und die Erbringung von Einzelleistungen innerhalb eines festen Terminplans sollten vereinbart und bei Nichteinhaltung der Vertragstermine der Nachunternehmer – die GbR – für alle Schäden und Nachteile haften (§ 5 des Vertrages). Weiterhin verpflichtete sich der Nachunternehmer, für seine Arbeiten nur einwandfreies Material zu verwenden und die Arbeiten durch geschultes, zuverlässiges Fachpersonal ausführen zu lassen sowie etwaige Mindestlohnvorschriften und Vorschriften über Mindestbedingungen am Arbeitsplatz einzuhalten (§ 6 des Vertrages). Dem Vertragstext lässt sich damit zwar kein konkreter Auftragsgegenstand entnehmen. Die gesamte Konstruktion der vertraglichen Regelungen unterstellt indes ein echtes Bau-Subunternehmer-Verhältnis zwischen dem Kläger als Generalunternehmer und der von den Beigeladenen zu 1) bis 3) betriebenen GbR als Nachunternehmerin, bei der konkrete Aufträge unterschiedlicher Art bei Einsatz ggf. auch dritter Arbeitskräfte und unter Verwendung von durch die GbR gestellten zu verbauenden Materials individuell ermittelt, ausgehandelt, kalkuliert und abzurechnen wären. In der Praxis stellte sich die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bis 3) für den Kläger in hierzu kaum zu überbietendem Kontrast dar. Danach setzte der Kläger die Beigeladenen auf den von ihm akquirierten Baustellen der Firma P. GmbH als Arbeitskräfte zur Erfüllung seiner eigenen vertraglichen Verpflichtungen ein. Hierbei transportierte er die Beigeladenen zumeist in seinem eigenen Bus zu den Baustellen. Dort taten die Beigeladenen nichts anderes, als – so wie der Kläger es ihnen anfänglich einmal gezeigt hatte – bestimmte, ihnen vom Kläger ausgewiesene Säulen mit Brennschutzplatten zu versehen. Die Arbeit war insofern immer gleich. Material – das in die Preiskalkulation für einen Auftrag hätte mit eingestellt werden können – wurde tatsächlich vom Hauptauftraggeber gestellt, das wesentliche Werkzeug vom Kläger. Eine individuelle, auf einzelne Bauprojekte bezogene Preiskalkulation durch die Beigeladenen bzw. die GbR fand nicht statt. Stattdessen vereinbarten die Beteiligten auf Vorschlag des Klägers einmal am Anfang ihrer Zusammenarbeit eine Bezahlung in Höhe von 10 bzw. 11 € pro verkleideter Säule, die dann auf allen weiteren Baustellen – für die immer gleiche von den Beigeladenen verrichtete Arbeit – galt. Der Kläger bzw. in dessen Abwesenheit ein Vorarbeiter der P. GmbH überwachten die Arbeiten der Beigeladenen laufend und forderten, wenn diese im Einzelfall nicht zufriedenstellend waren, die sofortige Korrektur noch während der laufenden Arbeitszeit. Nach alledem bestand die damit tatsächlich gelebte (Vertrags-)Beziehung der Beigeladenen zu 1) bis 3) zu dem Kläger damit alleine darin, dass sie dem Kläger ihre persönliche Arbeitskraft nach dessen Vorgaben und zur Erfüllung von dessen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der P. GmbH zur Verfügung stellten. Wer als Erfüllungsgehilfe eine Dienstleistung für einen Auftraggeber erbringt, die dieser einem Dritten vertraglich als Hauptleistungspflicht schuldet, ist nach allgemeinen Grundsätzen indes auch typischerweise als in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert zu betrachten […] Von einer selbständigen Durchführung baulicher Aufträge im Rahmen einer Subunternehmerstellung oder gar einem wesentlichen eigenen unternehmerischen Gestaltungsspielraum kann […] nicht die Rede sein.
Hinzu kommt, dass auch ein Unternehmerrisiko der Beigeladenen zu 1) bis 3) nicht erkennbar ist. Alle wesentlichen Kosten für die Tätigkeit auf den Baustellen wurden vom Kläger bzw. seiner Auftraggeberin, der P. GmbH, getragen. Arbeitsmaterialien, Arbeitsmittel und Werkzeuge, bis auf Kleinwerkzeuge, wurden den Beigeladenen gestellt. Die GbR-Gesellschafter setzten kein Kapital ein, sondern stellten nur ihre Arbeitskraft zur Verfügung, so wie es jeder Arbeitnehmer tut. Die von den Beigeladenen betriebene GbR verfügte weder über eine eigene Betriebsstätte oder auch nur Büroräume, noch über Materialien oder Werkzeug in wesentlichem Umfang. Der von ihnen genutzte Toyota Bus des Beigeladenen zu 1) gehörte diesem persönlich. Er fiel nicht ins Betriebskapital und tauchte auch nicht in der Einnahmen-Überschuss-Rechnung auf. Die angegebene Firmenadresse gehörte zu dem Büro, das die Beigeladenen bei der Abwicklung ihrer Verträge sowie den erforderlichen Formalien gegenüber den Behörden unterstützte, nicht zu einem eigenen Büro der GbR. Die GbR verfügte nicht über Angestellte. Die Beigeladenen zu 1) bis 3) waren auch nicht werbend in eigener Sache bzw. für die GbR am Markt tätig […] Im streitgegenständlichen Zeitraum haben sie im Wesentlichen nur für den Kläger gearbeitet.“
Entscheidung ist rechtskräftig
Der Bauunternehmer muss jetzt 103.000 € zahlen. Außerdem die Verfahrenskosten. Auch ein Strafverfahren gegen ihn hatte er zwischenzeitlich abzuwehren. Zwar mit Erfolg. Aber eine Zahlungsauflage zu Verfahrenseinstellung und die Kosten der Verteidigung werden ihn auch noch Einiges gekostet haben.
Siehe auch: