Strafanzeige gegen seinen Vermieter zu erstatten, führt nicht immer zur eigenen Kündigung
06.11.2023 – Hartnäckig hält sich jmmer noch ein Gerücht: egal, was ein Vermieter macht. Eine Strafanzeige dürfe man gegen ihn nicht erstatten. Sonst könne man gekündigt werden.
Eine Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts, dem Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 08.08.2023 – VIII ZR 234/22), stellt jedoch klar. Nur eine grundlos falsche Strafanzeige könne eine Kündigung immer begründen. Sonst aber kommt es auf die Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls an.
Seit 26 Jahren wohnte eine Mieterin in Berlin in einem Mehrfamilienhaus. Die Vermieterin wohnt ebenfalls in dem Haus, nämlich in Form des geschäftsführenden Gesellschafters.
"Besserwisserei", "Penetranz" und Setensprung-Portal
Das Mietverhältnis lief völlig problemlos. Doch dann traten in der Wohnung der Mieterin wohl Mängel auf. Die Vermieter reagierte ungewöhnlich. Mit starken Worten, wie „Besserwisserei“, „Penetranz“. Es sei nicht normal, was sie mache, schrieb ihr deren geschäftsführende Gesellschafterin in E-Mails.
Einen Tag später, am 09.02.2021, wurden innerhalb eines kurzen Zeitraums auf den Namen der Mieterin von einem unbekannten Täter Bestellungen getätigt sowie Kreditanfragen und Anmeldungen bei Internetportalen vorgenommen. Hierbei wurden Daten der Beklagten, ihre E-Mail Adresse, ihre Anschrift und Telefonnummer sowie ihre Bankverbindung unbefugt genutzt.
Die Mieterin erstattete daraufhin an demselben Tag über die Berliner Internetwache eine Online-Strafanzeige wegen Nachstellung und Beleidung, in der sie ausführte, sie habe „einen Verdacht, wer dies sein könnte“, nämlich der geschäftsführende Gesellschafter der Vermieterin. Er habe sie zuvor auch schon wiederholt auf niveaulose Art gemobbt. Mit einer unbefugt erfolgten Anmeldung im Partnerportal „Seitensprung“, einem gewählten Passwort mit vulgärem Sexualbezug und einem bestellten Buch mit einem anzüglichen Titel. Dann gäbe es noch einen anderen Hausbewohner. Der habe ihr erklärt, man könne nicht ausschließen, dass der geschäftsführende Gesellschafter dahinter stecken würde.
Doch so recht konnte man dem alles nicht nachweisen. Das Strafverfahren gegen ihn wurde schließlich eingestellt.
Vermieter; die Strafanzeige habe beleidigt
Daraufhin kündigte er das Mietverhältnis mit der Mieterin. Die Strafanzeige habe ihn beleidigt. Das sei ein Verstoß gegen die Pflichten einer Mieterin.
Die Mieterin sah sich im Recht. Sie zog nicht aus. So kam die Angelegenheit vor Gericht. In der ersten Instanz, vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte, lief es gut für den Vermieter. Das Amtsgericht verurteilte die Mieterin zur Räumung. Doch die gab nicht auf und legte Berufung ein. Das Landgericht Berlin sah die Sache ganz anders. Es wies die Räumungsklage ab.
Nunmehr versuchte es die Vermieterin erneut. Sie legte Revision ein. Beim höchsten deutschen Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dort sah man die Sache ähnlich, wie am Landgericht Berlin. Man beabsichtige, deren Revision zurückzuweisen, teilte man der Vermieterin mit. Aus dem Beschluss:
“Es sei mit dem Rechtsstaatsprinzip allerdings nicht vereinbar, wenn die berechtigte Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Rahmen eines Strafverfahrens zu zivilrechtlichen Nachteilen führte. Eine Strafanzeige mit einer im Kern zutreffenden Sachverhaltsschilderung biete daher keinen Grund für eine fristlose Kündigung. Das Berufungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass eine Kündigung etwa dann berechtigt sein kann, wenn der Anzeigeerstatter vorsätzlich oder leichtfertig eine falsche Anzeige erstattet hat. Dieser der allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur entsprechende rechtliche Maßstab ist nicht zu beanstanden. Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, der eine fristlose (oder hilfsweise eine ordentliche) Kündigung rechtfertigt, ist - wovon auch die Revision ausgeht - unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine grundlos falsche Strafanzeige gegen den Vertragspartner kann hierbei einen zur Kündigung berechtigenden Umstand darstellen, ebenso wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben im Rahmen einer Strafanzeige. Bei der einzelfallbezogenen Gesamtabwägung ist auch zu berücksichtigen, ob der Anzeigeerstatter zur Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen oder staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gehandelt hat
Auch wenn im Laufe des Ermittlungsverfahrens gegen den geschäftsführenden Gesellschafter der Klägerin keine Anhaltspunkte für dessen Täterschaft gefunden wurden und deshalb eine Einstellung […] erfolgte, war das Vorbringen des Tatverdachts gegen diesen entsprechend der rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht als eine leichtfertig erhobene Anschuldigung anzusehen, die eine erhebliche Pflichtverletzung darstellte. Da der Täter auf Grund der Anonymität der über das Internet begangenen Straftaten für die Beklagte nicht bekannt und auch nicht ermittelbar war, er jedoch für die Bestellungen und Anmeldungen auf den Namen der Beklagten nicht allgemein zugängliche Daten von ihr verwendete, lag es nahe, ihn im eigenen Umfeld zu vermuten, insbesondere dort, wo aktuelle Konflikte vorlagen. Gegen eine Zufallstat eines der Beklagten unbekannten Täters und für eine persönlich motivierte Tat aus ihrem Umfeld sprach auch, dass es sich um gezielt gegen sie gerichtete Taten handelte, die ihr Schaden zufügen, zumindest aber erheblichen Ärger und Aufwand bereiten sollten, ohne dass dem Täter dadurch selbst ein Vorteil entstanden wäre. Vor diesem Hintergrund war der Gedanke der Beklagten, der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin habe die Taten möglicherweise begangen, zumindest nicht abwegig. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanzen bestanden zwischen diesem und der Beklagten zum Zeitpunkt der Strafanzeige Meinungsverschiedenheiten, die die Ebene der Sachlichkeit überschritten und eine "persönliche Note" erreicht hatten […] Zwar ergibt sich hieraus nicht, dass der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin die angezeigten Taten zu Lasten der Beklagten begangen hat. Dass die Beklagte dies jedoch auf der vorgenannten Grundlage und des engen zeitlichen Zusammenhangs der Taten mit dem eskalierten Streit im Rahmen des Mietverhältnisses in Betracht gezogen hat, ist nachvollziehbar.“
Urteil des Landgericht ist rechtskräftig
Die Vermieterin nahm daraufhin die Revision zurück. Die Mieterin kann in ihrer Wohnung bleiben.