Urteil: ein gehobener Schallschutz muss nicht erst ausdrücklich vereinbart werden

10.10.2023 - Vor einigen Wochen schrieben wir unseren Bau-News, dass DIN-Normen manchmal nur ein Minimum darstellen und mitunter nicht einmal das.

[Zum Bau-News-Beitrag vom 05.07.2023: DIN-Normen sind nur Empfehlungen – Fitnessgeräte dürfen auf frisch verlegtem Studioboden nicht wackeln]

Eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG Schleswig, Urteil vom 25.08.2023 – 1 U 85/21) zielt auch in diese Richtung.

In einem Vertrag über die Errichtung einer kontrollierten Wohnraumbelüftungsanlage hatte man nichts zum Schallschutz vereinbart. Doch trotzdem sei ein gehobener Schallschutz konkludent vereinbart worden, entschied das Oberlandgericht. Und äußerte damit Zweifel an den DIN-Normen.

Im nördlichen Schleswig-Holstein wurde im Jahr 2012 ein Einfamilienhaus errichtet. Mit den Sanitär-, Heizungs- und Lüftungsarbeiten wurde eine Baufirma beauftragt. Die arbeitete und erstellte am 31.12.2012 eine Schlussrechnung. Knapp 5.000 € zahlten die Bauherren von dieser Rechnung jedoch nicht. Ihre Begründung: die Lüftungsanlage sei zu laut.

Ein heftiger Streit entstand und es kam schließlich zu einem selbständigen Beweisverfahren. Ein vom Gericht beauftragter Gutachter stellte fest, dass die anzuwendenden Schallschutzwerte nicht eingehalten würden.


Die Baufirma sah sich nicht in der Pflicht

Sie hätte eine Lüftungsanlage einbauen sollen und sich nicht um einen erhöhten Schallschutz zu kümmern gehabt, meinte sie.

Schließlich verklagten die Bauherren die Baufirma. 15.000 € forderten sie, um damit einen erhöhten Schallschutz zu erstellen. Die Baufirma wollte wiederum die restlichen 5.000 € haben. Sie erhob deswegen Widerklage gegen die Bauherren.

Für die Baufirma lief es in der ersten Instanz, vor dem Landgericht Itzehoe, gut. Die Klage der Bauherren wurde abgewiesen. Stattdessen wurden sie verurteilt, an die Baufirma 5.000 € zu zahlen.


Oberlandesgericht: Vertrag ist auszulegen

Doch die Bauherren gaben nicht auf und legten Berufung ein, zum Oberlandesgericht Schleswig. Dort sah man die Angelegenheit anders, als die Richter in Itzehoe. Die Baufirma wurde zu einer Zahlung von 15.000 € verurteilt, die Bauherren mussten nichts zahlen. Aus dem Urteil:

"Die Belüftungsanlage darf maximal einen Schalldruckpegel von 30 dB(A) erzeugen.

Die Parteien haben zwar ausdrücklich keine Beschaffenheit hinsichtlich des einzuhaltenden Schallschutzwertes vereinbart. Dem Angebot […] lassen sich Vereinbarungen hierzu nicht entnehmen. Der Behauptungen der Kläger, der Geschäftsführer der Beklagten habe im Rahmen der Beauftragung auf Nachfrage erläutert, die Geräusche der Anlage seien nicht wahrnehmbar, steht die Einlassung des Geschäftsführers der Beklagten entgegen, erhöhter Schallschutz sei kein Thema gewesen […]

Dennoch ergibt die Auslegung des Vertrages zwischen den Parteien, dass ein einzuhaltender Schallschutz vereinbart worden ist. Denn der Unternehmer verspricht dem Bauherrn stillschweigend mindestens, dass das zu erstellende Werk die Regeln der Technik einhält […] Die Auslegung der Vereinbarungen zwischen den Parteien ergibt, dass ein gehobener Schallschutz von 30 dB(A) nach Tabelle 4 der VDI 4100 geschuldet war.

Für die Frage, welcher Schallschutz bei der Errichtung einer Wohnung geschuldet ist, kommt es maßgeblich auf das Vorstellungsbild der Parteien vom Bauwerk an. Es sind nicht in jedem Fall die Mindestanforderungen an den Schallschutz nach DIN 4109 entscheidend, die im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Bauordnungsrechts zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben zu berücksichtigen sind. Besondere Qualitätsanforderungen können sich nicht nur aus dem Vertragstext, sondern auch aus erläuternden und präzisierenden Erklärungen der Vertragsparteien, sonstigen vertragsbegleitenden Umständen, den konkreten Verhältnissen des Bauwerks und seines Umfeldes, dem qualitativen Zuschnitt, dem architektonischen Anspruch und der Zweckbestimmung des Gebäudes ergeben. In aller Regel wird ein Bauherr eine Ausführung erwarten, die einem üblichen Qualitäts- und Komfortstandard entspricht. Haben die Parteien einen üblichen Qualitäts- und Komfortstandard vereinbart, so muss sich das einzuhaltende Schalldämm-Maß an dieser Vereinbarung orientieren. Insoweit können aus den Regelwerken die Schallschutzstufen II und III der VDI-Richtlinie 4100 oder das Beiblatt 2 zur DIN 4109 Anhaltspunkte liefern. Nach §§ 133, 157 BGB bedarf die Vereinbarung eines erhöhten Schallschutzes keiner "ausdrücklichen" Vereinbarung, sondern kann sich aus den Umständen ergeben […]

Diese Grundsätze sind auch auf den Vertrag zwischen den Parteien anzuwenden, obwohl nicht der Luftschall zwischen verschiedenen Wohneinheiten betroffen ist und die Beklagte nur Teilleistungen erbracht und nicht das gesamte Gebäude errichtet hat. Denn auch, wenn die Beklagte nur die Heizungs- und Lüftungsanlage zu installieren hatte, war sie verpflichtet, eine Anlage anzubieten, die zu dem für sie erkennbaren Zuschnitt des zu errichtenden Einfamilienhauses passte. Der Unternehmer, der nur eine Einzelleistung bei der Errichtung eines Gebäudes erbringt, mag keine so umfangreichen Beratungs- und Planungspflichten haben wie ein planender Architekt oder ein Bauträger. Er kann sich jedoch nicht darauf zurückziehen, Schallschutz spiele für seine Leistung überhaupt keine Rolle.

Die Beklagte musste danach eine Anlage anbieten, die gehobenen Anforderungen an den Schallschutz gerecht wurde. Sie konnte nämlich erkennen, dass es sich bei dem geplanten Haus um ein solches in gehobener Bauweise handelte. Das ergab sich alleine schon aus dem Grundriss des Gebäudes, der große Räume und ein Raumprogramm vorsah, das über das notwendige Maß hinausging, indem etwa auch ein Gästezimmer oder ein Hobbyraum geplant waren. Auch die Lage des Gebäudes sprach dafür, dass ein gehobener Schallschutz erwartet wurde. Denn das Gebäude befindet sich in einem reinen Wohngebiet, in dem keine störende Geräuschentwicklung durch Gewerbebetriebe oder ähnliches zu erwarten ist […]

Die Höhe des Vorschusses schätzt der Senat nach § 287 Abs. 2 ZPO auf 15.000,00 [...] Eine hohe Genauigkeit der Schätzung ist nicht erforderlich, weil über den Vorschuss abzurechnen ist.“


Bausoll besser beschreiben

Elf Jahre nach Durchführung der Arbeiten ist die Angelegenheit damit rechtskräftig beendet. Beide Seiten hätten es einfacher haben können. Indem man bei der Auftragserteilung klarer beschreibt, was eigentlich von der Baufirma geschuldet war.





Es ist nicht das erste Mal, dass sich herausstellt, dass DIN-Normen nicht oder nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Bereits vor 12 Jahren hatten wir in einem Bau-News-Beitrag darüber berichtet.

[Zum Bau-News-Beitrag vom 23.06.2011 – Bauherren sollten sich nicht von DIN-Normen verwirren lassen]


Auch zu anderen DIN-Normen als der, über die wir damals geschrieben hatten, gab es in den vergangenen Jahren Entscheidungen. Sie zeigen, dass DIN-Normen nicht immer das Nonplusultra darstellen. Mitunter sind sie nur ein Minimum, manchmal noch nicht einmal das.

[Zum Bau-News-Beitrag vom 05.01.2012: Gegen DIN-Norm verstoßen – nicht automatisch ein Baumangel]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 27.10.2013: Trotz Einhaltung der DIN-Normen – Treppenanlage kann mangelhaft sein]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 26.11.2013: Zu großer Spalt an Türzarge – Leistung kann trotz Einhaltung der DIN-Norm mangelhaft sein]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 03.12.2014: DIN-Norm nicht eingehalten – kommt es zum Schaden, wird Verschulden der Baufirma vermutet]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 11.06.2018 - Frisch sanierter Altbau vom Bauträger: Käufer kann modernen Schallschutz erwarten]

[Zum Bau-News-Beitrag vom 19.11.2018 - Aufzug muss leise sein in "Stadtwohnung der Spitzenklasse]"