Von oben in den Keller gestürzt – Keine Haftung der Baufirma, wenn Bauherr auf ungewöhnlichem Weg in den Bau gelangte

17.04.2014 - Baustellen sind gefährlich, gleich, ob dort gearbeitet wird oder nicht. Gerade nach Feierabend locken Bauplätze kleine Kinder magisch an. Weil der Nachwuchs nach dem Motto „was verboten ist, macht uns erst richtig scharf“, auf das obligatorische „Betreten verboten“-Schild nicht immer reagiert, müssen Baufirmen Gefahrenquellen sorgfältig sichern. Tun sie das nicht, haften sie, wenn etwas passiert.

Doch es sind auch „die Großen“, die sich mitunter von einer Baustelle angezogen fühlen. Zum Beispiel die Bauherren, manchmal auch in Begleitung der Freunde und Bekannten, denen man etwas zeigen möchte.

Mit einem besonders tragischen Fall hatte sich das Oberlandesgericht Koblenz (OLG Koblenz, Urteil vom 05.03.2014 – 5 U 1090/13) zu beschäftigen. Ein Bauherr war auf „seiner“ Baustelle gestürzt und ist seitdem schwerstbehindert. Es ging um über 190.000 € Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld, die seine Betreuerin für ihn einklagte. Vergeblich.

Erst 30 Jahre alt war ein Bauherr im Raum Trier, als er sich im 2007 ein Haus bauen wollte. Es war Freitag, der 03.08.2007. Das Haus befand sich im Rohbau. Der Einbau der Treppen stand noch aus, die Treppenöffnungen waren nicht gesichert. Innenarbeiten waren für diese Tag nicht geplant; die Dachdecker waren zugange. Der Bau war außen eingerüstet - damit die Dachdecker über dieses Gerüst an ihren Arbeitsplatz gelangen konnten. Getreu dem Motto „Freitag ab eins macht jeder seins“ waren am Mittag keine Arbeiter vor Ort. Eine innere Gerüstleiter, über die man von ebener Erde auf die erste Gerüstebene hätte steigen können, gab es nicht; sie war abmontiert worden.

Irgendwann in der Mittagszeit suchte der Bauherr die Baustelle auf. Er hatte schlecht geparkt, ein anderes Fahrzeug kam deshalb nicht vorbei. Dessen Fahrer hupte erst zweimal, stieg schließlich aus und ging auf das Grundstück. Schwerverletzt lag der Bauherr im Keller des Rohbaus. Er war offensichtlich durch die ungesicherten Treppenöffnungen aus dem ersten Stock dorthin gestürzt. Warum, ist nicht klar. Der Bauherr hatte durch den Sturz schwerste Kopfverletzungen erlitten und kann sich seitdem weder sprechen, noch in sonstiger Weise sich mitteilen. Die Polizei ermittelte. Sie fand in der ersten Etage Unterlagen, die der Bauherr dort zurück gelassen hatte. Seine Familienangehörigen erinnerten sich: am Vortag hatte er angekündigt, die Baustelle aufsuchen zu wollen; weil eventuell eine Wand des Bades im ersten Obergeschoss nicht richtig errichtet sei.

Wenn jemand durch eine ungesicherte Treppenöffnung aus dem ersten Stockwerk bis in den Keller stürzen kann, deutet vieles auf eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten hin. Die auf der Baustelle tätigen Baufirmen hätten an eine Absturzsicherung denken müssen. So argumentierte auch die gerichtlich bestellte Betreuerin des Bauherrn und machte Schadensersatzansprüche geltend. Die hinter den Firmen stehenden Versicherungen lehnten eine Zahlung ab. Es kam zum Prozess.

Dort stellte sich aber die Frage, wie denn der Kläger aus dem ersten Obergeschoss in den Keller stürzen konnte. Wenn man – mangels Treppe – nicht in das erste Obergeschoss gelangen kann, dann muss eine Baufirma an sich auch keine Vorsorge dafür treffen, dass jemand von dort aus abstürzt. Zumal Innenarbeiten auch nicht anstanden. Und draußen war sogar aufgrund der häufigen Diebstähle von Baumaterial aus Rohbauten die Gerüstleiter zwischen dem Erdboden und der ersten Gerüstebene entfernt worden – so sollte verhindert werden, dass Diebe im Obergeschoss nach Stehlenswertem suchen würden. Mithin konnte man auf die erste Gerüstebene und von dort auf die darüber liegende Ebene und in das Obergeschoss nur gelangen, indem man an den senkrechten Gerüststangen empor kletterte. So muss das der Bauherr wohl auch gemacht haben. Doch dann ist kein Raum mehr für die Annahme eines Verstoßes gegen Verkehrssicherungspflichten, meinte das Gericht. Aus dem Urteil:

„Mit etwas derart Ungewöhnlichem mussten die Beklagten aber nicht rechnen und demzufolge auch keine Sicherungsvorkehrungen für den Fall treffen, dass jemand gleichwohl auf diesen Weg in das Obergeschoss gelangte.“

Das sind die Konsequenzen aus diesem Urteil:

  • Baufirmen sollten immer damit rechnen, dass Unbefugte die Baustelle betreten. Auch denen gegenüber haben sie die Pflicht, Gefahren zu vermeiden. Sie müssen deshalb alle erkennbaren Gefahrenquellen sorgfältig absichern, wenn sie sich nicht schadensersatzpflichtig machen wollen.
  • Anders, wenn sicher ist, dass ein Baugrundstück nur einem beschränkten Personenkreis zugänglich ist; dann bestehen Verkehrssicherungspflichten nur in beschränktem Umfang.
  • Und ein derart ungewöhnliches Verhalten, dass sich jemand wie einer Turner über das Gerüst ins Haus hangelt, muss man als Baufirma nicht vorhersehen.



Verkehrssicherungspflichten auf Baustellen sind immer wieder ein Thema in unserem Bau-News-Blog:

[Zum Bau-News-Beitrag vom 23.11.2011]
[Zum Bau-News-Beitrag vom 19.05.2012]
[Zum Bau-News-Beitrag vom 03.12.2013]
[Zum Bau-News-Beitrag vom 17.04.2014]



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